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© Anand Anders

Kreisfachberaterin ist auf der Suche nach alten Kirschbäumen

Vor 200 Jahren schrieb ein Adeliger aus der Region das erste Buch über Kirschensorten

Landkreis Schweinfurt. Für Pomologen ist Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen zu Bettenburg (1755-1826) ein Begriff. Er klassifizierte, sammelte und pflanzte über 200 verschiedene Kirschensorten. Ein Pflanzenschatz, der verloren ging, aber wiedergefunden werden könnte. Die Kreisfachberaterin für Gartenkultur und Landespflege am Landratsamt Schweinfurt, Brigitte Goss, will sich diesem verborgenen Erbe annehmen und hofft auf Unterstützung aus der Bevölkerung.

Kirschen – ihnen liegt ein großer Zauber inne und das Versprechen auf Sommer, Sonne und Genuss. Doch wie ist das mit dem Genuss? Wissen wir wirklich noch, wie gut Kirschen schmecken? Die heutigen Kirschensorten sind nach Kriterien des Marktes selektiert und nicht unbedingt nach gutem Geschmack oder der Anpassung an den Standort. Doch das war nicht immer so, wie Brigitte Goss weiß:

Die Karriere der Kirsche in Europa begann 63 vor Christus. Der römische Feldherr Licinius Lucullus brachte die Süßkirschen als Beute vom Schwarzen Meer mit nach Rom. Funde von Kirschkernen belegen schon 50 nach Christus den Anbau der Edelkirschen in Germanien, Gallien und Britannien. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich die Edelkirsche zur Trendfrucht der Adeligen. Sie war die Lieblingsfrucht des Preußenkönigs Friedrich des Großen (1712-1786), der mit seiner Leidenschaft zu den süßen Früchten den Obstanbau zu wahren Meisterleistungen trieb. Seine findigen Hofgärtner trieben Kirschen in eigens dafür entwickelten Gewächshäusern heran, so dass sie schon im März oder April die ersten Kirschen ernten konnten. Dafür entlohnte der Preußenkönig seine Gärtner mit einem Vermögen. Früchte außerhalb der Saison anzubieten, war ein Symbol für Luxus und ein Zeichen für hohen Entwicklungsstand des Staates. Die hohe Kunst des Obstanbaus war hierzulande gefragt, denn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war der Import von Früchten aus südlichen Regionen fast unmöglich. Die Reisewege waren einfach zu lang. Eigene Produktion war deshalb umso bedeutender. Hofgärtner versorgten den Hof mit frischen Früchten und brachten so nebenbei die Züchtung neuer Sorten voran.

In dieser Boomzeit des Obstanbaus erblickte ein adeliger Spross in der Region das Licht der Welt. Er liebte die Kirschen schon als Kind und trug später zu ihrer Verbreitung bei. Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen zu Bettenburg wuchs in der gleichnamigen Ritterburg in den Haßbergen auf. Als junger Adeliger kam er bei seiner „Kavalierstour“ nach Berlin, Prag, Wien und Ungarn. Diese Rundreise war für die adeligen Sprößlinge obligatorisch. Vielleicht beeindruckte ihn Potsdam mit seinen Obstanlagen und der Kirschentreiberei. Jedenfalls sammelte er überall Kirschensorten und brachte sie mit in seine Heimat in die Haßberge. Dort pflanzte er die Süß- und Sauerkirschensorten am Rande seines Landschaftsparks im Schutz der ritterlichen Bettenburg auf.

Das alleine reichte dem „Kirschenchristian“ nicht. Er beschrieb als Erster 232 Sorten in seinem Buch „Systematische Klassifikation und Beschreibung der Kirschensorten“, das 1819 erschien. Er ordnete die Kirschen nach der Blütezeit und teilte diese in sogenannte Kirschenwochen ein. „Diese Systematik wird noch bis in unsere Zeit angewandt“, sagt Goss. In seiner Zeit war er der angesagteste Kirschenpomologe und wurde auch nach seinem Tod in vielen obstbaulichen Schriften erwähnt. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts gab es noch die beschriebene Vielfalt an Kirschen, doch dann verschwanden viele Sorten nach und nach, weil ihnen kein Wert beigemessen wurde.

„Trotzdem könnten sie noch irgendwo vorhanden sein“, sagt Brigitte Goss. „Erst vor einigen Jahren gelang so ein Zufallsfund. In einem Randbereich des traditionellen Thüringer Kirschenanbaugebietes, den Fahner Höhen.“ Dort fand der Obstbauer Hans Dieter Wellner die verschollene, historische Kirschensorte „Türkine“, auch „Flamentiner“ genannt. Wie in alten Gartenbüchern beschrieben, gab Christian von Truchseß im Jahr 1794 Edelreiser (Hölzer zum Vermehren) der Türkine an Pfarrer Sickler ab, der umfangreiche Ländereien der Kirche verwaltete und eine Obstbaumschule betrieb. Der Geistliche gilt noch heute als der Vater des Kirschenanbaus in der Region Gotha.

Die Türkine wurde eine der Hauptanbausorten der Region. Im Gegensatz zu den üblichen Süßkirschen, die am besten auf sandig-lehmigen Böden gedeihen, gefällt es der Türkine auf nährstoffreiche Muschelkalkböden, wie sie in der Region Gotha vorkommen. Sie wächst ungewöhnlich stark, ist sehr robust und eignet sich deswegen besonders als Streuobstbaum. Ihre Frucht ist sehr saftig, weichfleischig und süßer als die üblichen Knorpelkirschen. „Hervorragend“ denkt man erst. Doch die Früchte entsprachen in jüngerer Zeit nicht mehr den Anforderungen des Marktes. Die Kirschen sind kleiner als moderne Züchtungen und viel zu weich. Die Früchte werden schon bei einem leichten Druck auf die Schale braun. Die Obstbauern sprechen hier von Glaskirschen. Sie müssten für den Transport vor der Reife geerntet werden.

„Alte Kirschensorten mögen zwar als unmodern gelten, aber sie tragen genetische Merkmale, die für die Züchtung von neuen Sorten zum Beispiel im Zuge der Klimaveränderung von großer Bedeutung sein könnten“, weiß Goss. Die Bäume der Kirschensammlung des „Kirschenchristians“ in den Haßbergen gibt es nicht mehr. Kirschbäume werden leider nicht älter als 100 Jahre. Doch ganz will Gartenfachberaterin Goss die Hoffnung nicht aufgeben: „Es gibt immer noch eine Chance. Es könnte die eine oder andere Sorte, veredelt von Obstbaukundigen der vergangenen Generation, noch verborgen in der Landschaft und in Gärten vor allem in unserer Region vorhanden sein.“ Wer so einen Baum kennt, möge sich bitte bei Brigitte Goss melden. „Vielleicht birgt so mancher Kirschbaummethusalem noch eine Überraschung.“

Kontakt und Info:
Landratsamt Schweinfurt, Schrammstr. 1, 97421 Schweinfurt
Kreisfachberaterin für Gartenkultur und Landespflege, Brigitte Goss
E-Mail: brigitte.goss@lrasw.de